Wichtige Verbesserungen für Flüchtlinge erreicht 22. September 2014 Die baden-württembergische Landesregierung hat heute im Bundesrat der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Reform des Asylrechts zugestimmt. Warum? Winfried Kretschmann: Uns ist es in langen und harten Verhandlungen gelungen, wirklich substanzielle Verbesserungen für die hier lebenden Flüchtlinge zu erreichen. Wir konnten durchsetzen, dass die Residenzpflicht für Flüchtlinge deutschlandweit abgeschafft wird. Asylbewerber sind dann nicht mehr gezwungen, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten. Außerdem können Flüchtlinge künftig einfacher und schneller Arbeit aufnehmen. Und es gibt eine Abkehr vom Sachleistungsprinzip: In Zukunft wird es einen Vorrang für Geldleistungen geben. Darüber hinaus hat uns die Bundesregierung finanzielle Entlastungen für die Kommunen in Aussicht gestellt – vor allem auch bei der Gesundheitsversorgung. Wir haben gerade eine echte Notsituation: Weltweit sind so viele Menschen auf der Flucht, wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Sie fliehen vor Verfolgung, Krieg und Terror. Und auch nach Deutschland kommen immer mehr Menschen. Wir wollen, dass diese vielen tausend Flüchtlingen bei uns die bestmögliche Hilfe bekommen. Daher sind die Verbesserungen, die wir der Bundesregierung abgerungen haben, so wichtig. Sie werden den Alltag der Flüchtlinge wirklich erleichtern, ihre Lebensverhältnisse verbessern und ihnen mehr Selbstbestimmung ermöglichen. Deshalb haben wir dem Kompromiss mit dem Bund zugestimmt – wenn auch sehr schweren Herzens. Wie sehen die einzelnen Verbesserungen für die Flüchtlinge konkret aus? Kretschmann: Zum einen wird die sogenannte Residenzpflicht abgeschafft, die bisher Flüchtlingen verbietet, den ihnen zugewiesenen Aufenthaltsbereich zu verlassen. Das hat ihre Freiheit massiv eingeschränkt und zu absurden Situationen geführt, wie etwa der, dass ein Jugendlicher nicht zu den Auswärtsspielen seiner Fußballmannschaft fahren durfte. Damit ist nun Schluss: Flüchtlinge, die mehr als drei Monate in Deutschland sind, können sich künftig im gesamten Bundesgebiet frei bewegen und damit auch Verwandte und Freunde in anderen Bundesländern besuchen. Das ist eine große Erleichterung im Alltag. Außerdem haben wir einen wichtigen Fortschritt bei den Geldleistungen errungen. Das Asylbewerberleistungsgesetz sieht bislang einen Vorrang für Sachleistungen vor. Das ist beschämend, weil die Flüchtlinge sich dadurch Dinge des täglichen Bedarfs wie Essen oder Kleidung nicht selbst aussuchen können. Das ändert sich nun: In Zukunft wird es einen Vorrang für Geldleistungen geben. Das stärkt die Selbstbestimmung der Flüchtlinge ganz entscheidend. So können beispielsweise kulturell und religiös bestimmte Essgewohnheiten besser berücksichtigt werden. Wie sieht es mit dem Zugang zum Arbeitsmarkt aus? Kretschmann: Asylbewerber können künftig einfacher und schneller eine Arbeit aufnehmen. Das absolute Beschäftigungsverbot für Flüchtlinge wird von neun auf drei Monate verkürzt. Nach 15 Monaten können Flüchtlinge in Zukunft auch ohne die sogenannte Vorrangprüfung eine Arbeit aufnehmen, bestimmte Flüchtlinge wie etwa Hochschulabsolventen sogar nach drei Monaten. Damit wird eine entscheidende Hürde abgesenkt, denn die Vorrangprüfung besagt, dass ein Asylbewerber nur dann beschäftigt werden darf, wenn kein Deutscher oder EU-Angehöriger den Job machen will. Das bedeutete in der Vergangen oftmals ein faktisches Arbeitsverbot. Wir konnten also erreichen, dass Flüchtlinge nicht mehr so lange zur Untätigkeit verdammt sind. Außerdem ist Arbeit ein wichtiger Schritt zur Integration und Teilhabe an unserer Gesellschaft. Was konnten Sie für die Kommunen erreichen? Kretschmann: Wir haben von der Bundesregierung die Zusage bekommen, dass im Rahmen der anstehenden Verhandlungen zur Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen darüber verhandelt wird, wie Länder und Kommunen von ansteigenden Kosten aufgrund der steigenden Zahl von Flüchtlingen und Asylbewerbern entlastet werden können. Vor allem die Gesundheitsversorgung und die Versorgung für unbegleitete Kinder und Jugendliche stehen dabei im Vordergrund. Kritiker sprechen von einem faulen Kompromiss? Kretschmann: Das ist ein schwieriger Kompromiss, aber definitiv kein fauler Kompromiss. Denn wir konnten erreichen, dass sich die Lebenssituation der vielen Flüchtlinge in Deutschland ganz konkret verbessern wird und dass den Kommunen Hilfestellung angeboten wird. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht vor, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären. Ihre Begründung: Das würde dazu führen, dass die Erstaufnahmestellen und Unterkünfte für Flüchtlinge erheblich entlastet würden, da so die Asylanträge in einem schnellen Verfahren behandelt werden können. Tatsächlich muss aber bezweifelt werden, dass das zu einer wirklichen Entlastung der Aufnahmestellen und der Kommunen führen wird. Denn schon jetzt wird die übergroße Mehrheit – mehr als 90 Prozent der Asylbewerberinnen und Asylbewerber aus diesen Ländern – so behandelt, als kämen sie aus einem sogenannten sicheren Herkunftsland. Ihre Anträge werden als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Realität ist: von den 10.000 Menschen, die bis dato 2014 aus Serbien nach Deutschland gekommen sind, wurde keiner als Asylberechtigter anerkannt. Lediglich 24 Menschen durften bleiben, weil sie zum Beispiel krank waren und eine Rückführung unzumutbar gewesen wäre. Die Anerkennungsquote der Menschen, die aus diesen Ländern fliehen, liegt in den letzten Jahren bei 0,3 Prozent. Und um einem Missverständnis vorzubeugen: auch Menschen aus sogenannten sicheren Herkunftsländern können weiterhin als Asylberechtigte anerkannt werden, sofern die Voraussetzungen dafür vorliegen. Dieser Weg ist nicht verbaut. Das individuelle Recht auf Asyl ist grundgesetzlich verankert und kann weiterhin beantragt und eingeklagt werden. Aber es wird für den einzelnen – und das darf man nicht verschweigen – schwieriger, das Asylrecht für sich durchzusetzen. Dennoch halte ich das ganze Prinzip der sogenannten sicheren Herkunftsländer für falsch, und damit auch den Vorstoß, die drei Westbalkanstaaten zu sicheren Herkunftsländern zu erklären. Aber letztlich stand ich vor der schwierigen Entscheidung: Erreiche ich eine wirkliche Verbesserung bei der Lebenssituation der vielen tausend hier lebenden Flüchtlinge und stimme im Gegenzug schweren Herzens der Ausweitung der sogenannten sicheren Herkunftsländer zu? Oder lehne ich sie ab, verhindere damit aber auch bessere Lebensbedingungen für die Flüchtlinge? Ich habe letztlich die Verbesserungen für die Flüchtlinge höher gewertet und bin deshalb den Kompromiss mit der Bundesregierung eingegangen und habe dem Gesetzentwurf im Bundesrat zugestimmt. Aber eine solche Entscheidung trifft man nicht leichtfertig, sie geht einem an die Nieren und lässt einen nicht gut schlafen. Ich halte die Entscheidung dennoch im Sinne der Flüchtlinge, aber auch der Kommunen für richtig, respektiere aber natürlich all jene, die zu einer anderen Einschätzung kommen.